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Wladislaw Hedeler

geb. 1953 in Tomsk, Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität, international renommierter Kommunismusforscher, lebt in Berlin.

Veröffentlichung im Leipziger Literaturverlag

Vom Schmieden neuer Menschen. Artikel der Lagerzeitung des Karlag „Putjowka“ . Ausgewählt und übersetzt von Wladislaw Hedeler, LLV 2011

Zu den wenig bekannten und durch die Gulagforschung kaum erschlossenen Seiten der Sowjetgeschichte gehört die Herausgabe von Lagerzeitungen. Von 1923 bis 1960 existierten in der UdSSR insgesamt 476 Lager, in denen zwischen 15 und 18 Millionen Häftlinge gefangen gehalten wurden. Das Karlag, d.h. das Karagandinsker Besserungsarbeitslager, bestand von 1929 bis 1959 in Kasachstan. Die Zeitung Putjowka („Dienstreiseauftrag“) war das Sprachrohr der für kultur-erzieherische Arbeit zuständigen Abteilung der Lagerverwaltung. Die im Lager zu sozialistischen Menschen „umgeschmiedeten“ Häftlinge erhielten nach verbüßter Zwangsarbeit ihre „Putjowka“ in die Sowjetgesellschaft, um in der kasachischen Steppe ein neues Leben zu beginnen. Im Mittelpunkt der vorliegenden Auswahl stehen die Arbeits- und Lebensbedingungen im Karagandinsker Lager. In den Artikeln und Karikaturen kommen der menschenverachtende Charakter und die Ineffizienz des Lagersystems deutlich zum Ausdruck. Damit legen, so zensiert und manipuliert die Berichte auch sind, jene Häftlinge Zeugnis ab, die heute nicht mehr befragt werden können.

Stimmen

Wladislaw Hedeler, Hg.: Vom Schmieden neuer Menschen. Artikel der Lagerzeitung des Karlag „Putjowka“.

Felicitas Fischer von Weikersthal, Osteuroapa, 2014,1, S. 14

Diese verdienstvolle Arbeit hat Hedeler nun
mit der Übersetzung einer bisher weitgehend
unbekannten Quellengattung fortgeführt. Vom
Schmieden neuer Menschen umfasst insgesamt
41 Artikel und zahlreiche Illustrationen der
Jahrgänge 1933–1935 der Zeitung Putevka, die
im Karlag für die Häftlinge ab 1932 bis 1937
erschien. Der Titel, abgeleitet von dem sowjetischen
Film Putevka v žizn’ (Der Weg ins
Leben), stand für eines der vorgeblichen Ziele
der Lager: „die Erziehung und Umerziehung
der Häftlinge“ (S. 14). In den Lagern müssten,
so die Zeitung, die „gesellschaftlichschädlichen
Elemente“ sowie „alle anderen
Rechtsverletzer [. . .] alle Phasen der Erziehung
und Umerziehung durch Arbeit durchlaufen,
um sich vom Erbe des Alten zu reinigen
und die erforderlichen Arbeitsgewohnheiten
anzueignen, die Voraussetzung für die innere
Umwandlung des ,verrenkten‘, auf die schiefe
Bahn geratenen Individuums und seine Wandlung
in ein nützliches Mitglied der freien
Arbeitsgesellschaft sind“ (S. 23).
In diesem Artikel von 1933 spiegelt sich deutlich
die Anfang der 1930er Jahre durchaus
verbreitete Vorstellung, Kriminelle durch
erzwungene Arbeit und das Leben im Kollektiv
disziplinieren und in die Gesellschaft reintegrieren
zu können. Die Presseorgane, die
anders als die „freie“ Presse von offizieller
Seite unterstützt wurden (S. 6), sollten unter
anderem diese Umerziehung oder Umschmiedung
vorantreiben. Und tatsächlich, so lassen
uns die ausgewählten Artikel glauben, fanden
ehemalige Kriminelle durch den Aufenthalt in
den Lagern in die sowjetische Gesellschaft
zurück. Ihr aufrichtiger, ja „flammender Dank“
(S. 87) gilt der Lagerverwaltung, die u.a. durch
ihre Teilhabe an der Umwandlung und ihre
„Menschlichkeit“ den Weg ins Leben unterstützt
habe.
Artikel wie diese sind der Grund dafür, dass
die Gulag-Forschung die in allen größeren
Lagern existierenden Zeitungen bisher ignoriert
oder zu bloßen Propagandablättern herabgewertet
hat. Die zwar kaum repräsentativ zu
nennende Auswahl – Hedeler selbst räumt ein,
dass nicht alle Facetten der Berichterstattung
abgedeckt wurden und dass vor allem für die
späteren Jahre ausreichend Ausgaben fehlen –
zeigt jedoch sehr deutlich, dass die Presseorgane
der Lager als ergänzende Quelle von der
Gulag-Forschung herangezogen werden sollten...

Das Innenleben einer stalinistischen Lagerzeitung: Vom Schmieden neuer Menschen
von Ralf Julke, L-IZ vom 19.04.2011


 

 

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