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Franz Hodjak

Geboren 1944 in Hermannstadt (Rumänien). Nach seinem Abitur war er beim Militär, danach verdiente er sein Geld als Hilfsarbeiter und studierte dann Germanistik und Rumänistik. 1970-1992 arbeitete er als Lektor für deutschsprachige Bücher im Dacia Verlag in Klausenburg. 1992 übersiedelte er nach Deutschland und lebt heute als freier Schriftsteller in Usingen.

Veröffentlichungen im Leipziger Literaturverlag

 

Ein ausführliches Gespräch mit Franz Hodjak lesen Sie in Der eigene Ton. Gespräche mit Dichtern

Stimmen

Besprechung von "Nabucco" im Rahmen der Sendung "Kulturfrühstück" auf hr2: hören!

Franz Hodjaks Figuren sind mit einem freisinnigen Charakter und weiten Seelen ausgestattet. Mitunter erinnern sie an Märchenfiguren, die skurrile und absurde Abenteuer zu bestehen haben, um endlich ihr Glück finden zu können. Andererseits sind diese Figuren eng mit dem Leben verbunden und ein Spiegel der Sehnsüchte und Versagensängste des durchschnittlichen Europäers von heute.

Der jetzt im Leipziger Literaturverlag erschienene Erzählungsband „Das Ende wird Nabucco heißen“ versammelt sechzehn Fiktionen, die knapp neben der Wirklichkeit angesiedelt sind. Diese kleine Differenz ist es aber, durch welche sich Hodjaks Figuren unvergesslich einprägen. Stets ist es eine besondere Eigenschaft oder ein ausgewählter Eigensinn, der diese Menschen von der breiten Masse abhebt, sie isoliert und in ein Nachdenken über die Philosophie der Freiheit zwingt.

Jeremias, ein ehemaliger Lehrer, hat seinen Rentnerwohnsitz in die Züge des Regionalverkehrs verlegt. „Notorische Sesshaftigkeit“, behauptet er, „führe zwangsläufig zu Apathie, schließlich zu akutem Lebensüberdruss, und so sei es auch nicht verwunderlich, dass kein Mensch mehr ohne Psychiater auskommen könne.“

Sankt-Pauli, ein begnadeter Taschendieb, der selbst die abgebrühtesten Berufsverbrecher im Zentralgefängnis ob seiner Fähigkeiten in Erstaunen versetzen kann, wird dank deren Verbindungen ein „ehrlicher Taschendieb“ und gefeierter Medienstar.

Der sture Herr Beckermann lebt im erzkatholischen Dreipfeifen. Ein Kirchenaustritt isoliert ihn, denn von da an sei es, nach Ansicht der Dreipfeifener, „nur noch ein kleiner Schritt bis zu terroristischen Anwandlungen oder zumindest wertezerstörenden Umtrieben“.

Immer wieder gelingt es Hodjak, mit den Lesererwartungen zu spielen und seinen Geschichten eine unerwartete Wendung zu geben. In Die Pension wird ein Urlaub zum kafkaesken Horrortrip. In Sylvester verursacht ein Schnee- und Verkehrschaos eine anarchisch-dionysische Liebesfeier in einem Wartesaal der Regionalbahn.

In der Titelgeschichte Das Ende wird Nabucco heißen hat der Protagonist wie Kafkas Landvermesser eine Folge von grotesken Abenteuern zu bestehen. Auf die Polizeistation eines Dorfes gerufen, um einen Kühlschrank und eine Rechenmaschine zu reparieren, gerät er per Autostopp auf die Ladefläche eines offenen Sargmöbeltransporters. Die Idee, sich in einem der Särge vor dem Regen zu schützen, löst eine Kette von absurden Geschehnissen aus, die ihn hinfort veranlassen, „sich gründlich mit dem Tod zu beschäftigen“.

Axel Helbig, DNN vom 9. 4. 2014

 

Auszeichnungen

1990 erhielt Franz Hodjak für seine Erzählung „Die Jacke“ den Preis des Landes Kärnten beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Weitere Preise u.a.: Stadtschreiber-Stipendium der Stadt Mannheim (1982; durfte es erst nach der Wende antreten), Georg-Maurer-Preis der Stadt Leipzig (1990), Literatur-Förderpreis des BDI (1991), Ehrengabe zum Andreas-Gryphius-Preis (1991), Stadtschreiber in Minden (1995), Nikolaus-Lenau-Preis der Künstler-gilde Esslingen (1995), Heinrich-Heine-Stipendium in Lüneburg (1997), Hermann-Hesse-Stipendium in Calw (1998), Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung (1998), Künstlerstipendium in Schreyahn (2000), Stadtschreiber in Dres-den (2002), Kester-Haeusler-Ehrengabe der Schillerstiftung (2005), Arbeitsstipendium des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (2006), Stipendium im Herrenhaus Edenkoben (2007).

"Doch nicht nur wegen seiner angenehmen Gesellschaft, seiner analytischen Denkschärfe, seines Willens zur Wahrhaftigkeit und seiner geistigen Unabhängigkeit saßen die damals jungen rumäniendeutschen Literaten gern mit Franz Hodjak in geselliger Runde zusammen, selbst wenn die eine oder andere Begegnung bei zunehmendem Alkoholzuspruch zuweilen skurrile Formen annahm. Immer ging es spannend und witzig in seiner Gegenwart zu. Hodjak sprach aufrichtig und schonungslos über die Arbeiten der rumäniendeutschen Schriftstellerkommilitonen, gelegentlich auch über seine Ängste und Zweifel, Eitelkeiten und Schwächen, im vertrauten Freundeskreis auch sehr kritisch über die diktatorische Führung. Es war vor allem die stets mit logischer Stringenz vorgetragene Argumentation, die die jungen Literaten, deren Bücher er als Lektor im Dacia Verlag betreute und für deren Begabungen er ein Gespür hatte, beeindruckte und die von dem gespreizten Gehabe der heute längst vergessenen rumäniendeutschen Intellektuellen jener Jahre abstach." (Stefan Sienerth)

Weitere Veröffentlichungen

Brachland. Gedichte, Klausenburg, Dacia-Verlag 1970 Spielräume. Gedichte & Einfälle, Bukarest, Kriterion, 1974; Offene Briefe, 1976; das maß der köpfe. halbphantastische texte, Bukarest, Kriterion, 1978; Die humoristischen Katzen. Kinderverse, Bukarest, Kriterion, 1979; mit Polly Knall spricht man über selbstverständliche dinge als wären sie selbstverständlich, Bukarest, Kriterion, 1979; flieder in ohr, Bukarest, Kriterion, 1983; Der Hund Joho. Kinderbuch, Bukarest, Kriterion, 1985; Augenlicht, 1986; Fridolin schlüpft aus dem Ei. Kinderbuch, Bukarest, Kriterion, 1986; Friedliche Runde. Prosa, Bukarest, Kriterion, 1987; Luftveränderung, Bukarest, Kriterion 1988; Sehnsucht nach Feigenschnaps, 1988; Siebenbürgische Sprechübung, 1990; Zahltag, Frankfurt am Main, 1991; Franz, Geschichtensammler, Frankfurt am Main, 1992; landverlust, Frankfurt am Main, 1993; Grenzsteine, Frankfurt am Main, 1995; Ankunft Konjunktiv, Frankfurt am Main, 1997; Der Sängerstreit, Frankfurt am Main, 2000

 

Jede Definition der Freiheit schränkt die Freiheit ein

Axel Helbig im Gespräch mit Franz Hodjak

Im Jahr 2002 – dem Jahr der großen Flut – war Franz Hodjak ein halbes Jahr lang Dresdner Stadt-schreiber. In dieser Zeit haben wir etliche Tage mit Gesprächen und Ausflügen verbracht und sind gute Freunde geworden. Die Stadtschreiberwohnung in der Dresdner Bürgerstraße gestattet einen Blick auf die nahe gelegene Elbe und das am anderen Elbufer gelegene Ostragehege. Während Hodjaks Stadt-schreiberzeit kam die Elbe freilich immer näher, der Elbe-Pegel erreichte am Ende die „Jahrtausendhö-he“ von 9,40 m. Sandsackbarrikaden schützten die Anwohner notdürftig vor einer Überflutung. Strom-ausfall, Abgeschnittensein, Notversorgung bestimmten die folgenden Wochen, aber auch die erwachende Solidarität der Betroffenen und die befremdliche Schaulust der Flut-Touristen. Wir werden das bei Hod-jak genauer nachlesen können, wenn diese Geschehnisse in seiner Prosa transformiert Gestalt angenom-men haben. Das nachfolgende Gespräch wurde wenige Tage vor der Überflutung Dresdens am 29. Juli 2002 in Hodjaks Dresdner Stadtschreiberwohnung geführt. Wir sprachen im wesentlichen über seinen zwei Jahre zuvor erschienenen Roman „Der Sängerstreit“, über die darin enthaltene Philosophie des Ekels sowie über die Begriffe Freiheit und Macht.

Axel Helbig: Herr Hodjak, in Ihrem Monodrama „Franz, Geschichtensammler“ sagt Villon einen Satz, den ich sehr schön finde: „In jedem Wesen ist ein wenig Unendlichkeit, die herausdrängt, um sich mit der unermeßlichen Unendlichkeit zu vereinigen, wenn sie deren Stimme hört.“ Wer die Stimme hört, kann zum Dichter werden und die Vereinigung mit der unermeßlichen Unendlichkeit versuchen?

Franz Hodjak: Diese Unendlichkeit ist von ewigen Themen geprägt. Von Tod und Liebe und all den großen Themen. Wichtig ist, diese ewigen Themen in das Zeitgemäße hereinzuholen. Die Einzelheiten sind wichtig. Die Einzelheiten machen den Unterschied aus. Die verschiedenen Epochen sind von der Geschichte geprägt. Das Geschichtsbewußtsein spielt eine große Rolle. Vor allem beim Schreiben von Prosa. Weil jeder von uns nun einmal ein homo politicus ist. Ob er das wahr haben will oder nicht, das ist eine andere Sache. Oder ob er überhaupt fähig ist, dies wahrzunehmen. Wir werden alle, ob wir dies wollen oder nicht, von Politik geprägt. In der Diktatur ist das Spiel brutal, in der Freiheit ist das Spiel faszinierend. Oft ist es aber auch so faszinierend verpackt, daß man es gar nicht mehr durchschaut. Geschichtsbewußtsein heißt, daß all diese Einzelheiten eingebunden werden müssen. Das macht den Unterschied.

Axel Helbig: Ihr Roman „Der Sängerstreit“ spielt auf der thüringischen Wartburg und nimmt auf den historischen Sängerwettstreit Bezug. Allerdings wird schnell deutlich, daß das Historische nur als Folie für die Aus-einandersetzung mit dem Phänomen der Macht dient. Der Roman beschreibt eine dekadente Szenerie der Macht und gibt das Psychogramm eines Mächtigen, der im selbstinszenierten Chaos zu versinken droht. Dem Burgherrn Hermann I. steht der Sänger Klingsor gegenüber. Spielt die Person des Burgherren auch auf Züge des rumänischen Conducators Ceauşescu an? Warum bot sich gerade das historische Geschehen auf der Wartburg als Hintergrund an?

Franz Hodjak:Mich faszinieren Gestalten, die legendenumwoben sind und von denen es nicht viele historische Einzelheiten gibt. Das ist sowohl bei Villon als auch bei Klingsor der Fall. Es gibt viel mehr Gerüchte und viel mehr Legenden um diese Persönlichkeiten. Also muß ich mich nicht so strikt an viele historische Fakten halten und kann freier mit dem Stoff umgehen. Ich will ja den Stoff in meine Zeit herüberretten. Und da würden mich zu viele historische Fakten aus der Vergangenheit stören. Natürlich muß ich mich an die histori-schen Gestalten halten. Aber da so wenig aus ihrem Leben bekannt ist, kann ich spielen, ist meiner Phantasie unwahrscheinlich viel Spielraum geboten. Insofern hat mich zuerst einmal die Wartburg fasziniert. Weil es diesen Hermann I. gibt, der eine sehr interessante Figur war. Zweitens spielt Klingsor in diesem Geschehen eine Rolle, der ja aus Sieben-bürgen kommt, wie ich auch.
Mir widerspricht es, ja es ekelt mich geradezu, über einen dummen Diktator zu schreiben. Was ja Ceauşescu, der Diktator, den ich erlebt habe, war. Ich wollte über diktatorische Anwandlungen und Verhältnisse schreiben, aber nicht über primitive. Ceauşescu war viel zu berechenbar und viel zu geheimnislos und deshalb uninteressant und wertlos für eine literarische Bearbeitung. Seine Unmöglichkeiten waren vorauszusehen. Wenn ich über die rumänische Diktatur geschrieben hätte, dann wäre das eine Schwarz-Weiß-Malerei ge-worden. Und das hasse ich. Dann wäre der Diktator wirklich nur dumm und nicht einmal durch die „Qualität“ des Zynischen ausgezeichnet gewesen. So ein Diktator ist uninteres-sant für die Literatur. Dumme Diktatoren hat es im Grunde wenig gegeben. Hitler und Ceauşescu gehörten dazu. Die anderen – Caligula oder Nero, Mao oder Stalin, deren Wahnsinn ich hier nicht entschuldigen oder verharmlosen will –, das waren in ihrer Komplexität interessante Gestalten.
Ich habe nun diese Gestalt Hermann I. gefunden. Einerseits Klingsor, als Sänger und Vertreter der Kunst. Andererseits Hermann I., als einen Vertreter der Macht, der über seine Macht auch nachdenkt. Er hat dieses Fürstentum geerbt und sieht darin auch einen Fluch. Er ist, indem er die Wartburg übernehmen mußte, durch die Geschichte in eine Ausweglosigkeit hineinmanövriert worden. Er ist nicht einer, der aus Machtbesessenheit zum Herrscher geworden ist. Das ist ein großer Unterschied zwischen Hermann I. und Ceauşescu. Hermann I. ist ein kleiner Philosoph, was man von einem Ceauşescu nicht behaupten kann. Die Machtstrukturen sind die gleichen. Nur in der Machtausübung be-steht der große Unterschied. Ceauşescu hat ja nie nachgedacht, er war immer nur macht-besessen. Während ein Despot wie Hermann I. viel mehr hergibt, um über die menschli-che Kondition zu reflektieren, über das Verhältnis von Macht einerseits und Untertanen andererseits, und, was mir besonders wichtig schien, über das Verhältnis von Macht und Kunst.

Axel Helbig: Im Zentrum des Geschehens steht der nahezu philosophische Diskurs, den der Burgherr Hermann I. und der Sänger Klingsor über die existentiellen Grundlagen der Ausübung von Macht führen. Die Philoso-phie des Burgherrn beschwört Falschheit, Betrug und Verrat als strukturelle Prinzipien der Machtaus-übung. An einer Stelle sagt Hermann: „Ein blühendes, vernünftiges Land kann man nur mit Mördern, Verbrechern und Betrügern aufbauen.“

Franz Hodjak: Eine Diktatur kann nur mit Kriminellen arbeiten. Ein vernünftiger Mensch, der noch ein Gewissen hat, der noch auf moralische Werte achtet, der läßt sich nie mit einer Diktatur ein, der kann eine Diktatur nie unterstützen. Und ich habe Angst, in der Freiheit ist das nicht viel anders. Das kommt nur nicht so brutal zum Vorschein. Wenn man an die kor-rupten Politiker denkt, die korrupten Vorstandsvorsitzenden. Dieser Satz, der so unwahr-scheinlich grausam klingt, ist wirklich wahr. Das andere sind Illusionen. Man müßte ja den Menschen umstrukturieren. Man müßte seine negativen Eigenschaften wegradieren und nur die positiven gedeihen lassen. Das würde den Menschen wahnsinnig langweilig ma-chen. Der Mensch hat sich nie geändert. Und daran, am Fehlen einer Ontologie, ist ja auch der ganze Marxismus, der sogenannte Sozialismus, gescheitert. Der Mensch ist im-mer Egoist, der Mensch ist immer ein Haufen Elend, er ist immer eifersüchtig, immer egozentrisch. Er ist neidisch, er ist machtbesessen. Einerseits. Andererseits ist er auch ein wunderbares Wesen. Der Mensch kann auch ehrlich sein, der Mensch kann auch lieben, der Mensch kann auch aufopferungsvoll sein. Aber diese positiven Qualitäten des Men-schen sind nicht gefragt in einem Machtgefüge. Das würde ja zusammenbrechen, wenn jeder ehrlich wäre. Egal, welches Spektrum man nimmt, dieser Satz klingt grausam, aber er entspricht einer erschütternden Wahrheit. Machtbesessenheit und Macht kann nicht ehrlich sein, sonst führte sie sich selbst ad absurdum.

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Lesen Sie das gesamte Gespräch im Interviewband "Der eigene Ton", hg. von Axel Helbig.

 

 

 


 


Leseprobe
aus: Was wäre schon ein Unglück ohne Worte

Gespräch mit Franz Hodjak im hr

Besprechung "Nabucco" auf hr2

Zum Interview-Band:
- Der eigene Ton