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"Da habe ich Feuer gefangen ..." - Interview mit Viktor Kalinke

Die Fragen stellte Wolfgang Leyn, mdr, 18. 3. 2011

Keinen Verlag, sondern einen "Kultur Genuß Laden" betreibt Viktor Kalinke in der Leipziger Brockhausstraße. Doch spannende Bücher zu machen, bedeutet auch Kampf. Warum er sich für Literatur von den Rändern Europas interessiert und allein neun der 30 neu übersetzten Titel des Serbien-Programmes der Leipziger Buchmesse bei ihm erscheinen, erzählt er im Gespräch.

Der Leipziger Literaturverlag ist ein kleiner unabhängiger Verlag, der eine große Rolle spielt, was den Auftritt serbischer Autoren auf der Leipziger Buchmesse angeht: Wie kommt es, dass neun der 30 erstmals auf Deutsch übersetzten Titel bei Ihnen erscheinen?
Literatur aus dem ehemaligen Jugoslawien, insbesondere auch aus Serbien, beschäftigt mich schon seit langer Zeit. Im Jahr 2000 hat mich die Hallenser Südslawistin Cornelia Marks mit einigen der wunderbaren, sogenannten sumatraistischen Gedichte des späten Miloš Crnjanski bekannt gemacht, in denen er eine Synthese aus fernöstlicher Lebensweisheit und westlicher Melancholie herbeiphantasiert. Da habe ich Feuer gefangen. Zu meinen Bekannten zählte darüber hinaus ein serbischer Dichter aus Sarajewo, Stevan Tontic, der ein Jahr während der Belagerung der Stadt im Beschuss ausgeharrt hat, dann aber unter abenteuerlichen Umständen nach Deutschland geflohen ist. Mit ihm haben wir 2004 ein zweisprachiges Hörbuch aufgenommen, in dem er seine Kriegs- und Fluchterlebnisse auf poetische Weise verarbeitet: "Handschrift aus Sarajevo" heißt es. Es war unsere erste Publikation aus dieser Region. Später habe ich mit Stevan Tontic zusammen den fulminanten Band "Ithaka" von Miloš Crnjanski ins Deutsche übersetzt. Hierbei handelt es sich um Gedichte, die während des Ersten Weltkriegs zwischen den Frontlinien geschrieben wurden. Sie sind 1919 erschienen und begründeten den serbischen Expressionismus. In Deutschland gab es bislang "nur" einen autobiographischen Kommentarband zu den Gedichten, den Peter Urban bereits in den 1960er-Jahren übersetzt und bei Suhrkamp herausgegeben hat. Die Gedichte selbst, die dank ihrer klangspielerischen Form die moderne Literatur in Serbien einläuteten, blieben den deutschsprachigen Lesern vorenthalten. Das hat unseren Ehrgeiz angestachelt, erstmals eine Übersetzung dieser Gedichte zu wagen ...

Miloš Crnjanski - ein noch zu entdeckender Klassiker der serbischen LiteraturDabei haben Sie es nicht belassen: Zur Buchmesse legen Sie jetzt seine Aufzeichnungen aus dem Deutschland der 20er-Jahre vor. Wie sind Sie darauf gestoßen?
Als wir das Ithaka-Buch im Herbst 2008 auf einer Lesereise in Köln vorstellten, trafen Stevan Tontic und ich die Übersetzer Mirjana und Klaus Wittmann. Sie schlugen uns begeistert vor, ein weiteres Buch von Crnjanski ins Deutsche zu übersetzen: Iris Berlina. Dabei handelt es sich um Aufzeichnungen, die er machte, als er als Kulturattaché des Königreiches Jugoslawien in Deutschland weilte. Crnjanski hat nicht nur Gedichte geschrieben, sondern ist in Jugoslawien vor allem durch seine Romane berühmt, von denen manche verfilmt und zu modernen Klassikern wurden. Er hat aber auch Gebrauchstexte verfasst, darunter unglaublich poetische Reisebeschreibungen, die in den damaligen Reiseführern abgedruckt wurden. Dass er sich auch über Berlin und Deutschland eingehend geäußert hat, fand ich in doppelter Hinsicht spannend: Zum einen vermittelt einem die melodische Sprache Crnjanskis, die die beiden Übersetzer toll getroffen haben, ein Gefühl für die Zeit, man glaubt beim Lesen, im Berlin der 20er-Jahre zu stehen. Zum anderen wirft er einen wertschätzenden und zugleich kritischen Blick als slawischer Intellektueller auf die Weimarer Republik und beweist dabei ein sehr feines Gespür für die bedrohlichen Entwicklungen, die den meisten Deutschen zu dieser Zeit kaum aufgefallen sein dürften. Es wird also beim Lesen nicht nur die historische Neugier gestillt, sondern das Buch macht sensibel für aufkeimende Entwicklungen, noch ehe sie wirklich sichtbar sind.

Sie betreiben keineswegs "nur" Klassiker-Pflege, sondern widmen sich u.a. der sehr zeitgenössischen serbischen Lyrikerin Radmila Lazić. Was begeisterte Sie an ihren Gedichten?
Die Übersetzerin Mirjana Wittmann hat mich auf die frischen, unverblümten Gedichte von Radmila Lazić aufmerksam gemacht. Die deutschsprachige Gegenwartslyrik, wenn ich mal etwas verallgemeinern darf, wirkt im Vergleich zu diesen direkten, am Sound der amerikanischen Beat Generation orientierten Versen so verrätselt und ins sich abgeschlossen, mit philosophischen Fragen oder sich selbst beschäftigt, dass ich oft gar nicht soviel mit ihr anfangen kann. Das ist mit den Gedichten von Radmila Lazić anders: Sie spricht ganz frei Dinge aus, die auch heute immer noch schwer zu sagen sind, und sie sind dabei ganz leicht und zugänglich, ohne trivial zu sein.

Wie funktioniert überhaupt dieser Literaturtransfer in den deutschsprachigen Raum? Wie tauschen Sie sich als Verleger mit Autoren, Agenten oder Übersetzern aus und entscheiden, welche Bücher Sie machen wollen?
Die persönlichen Kontakte zu Dichtern wie Stevan Tontic, der heute wieder in Sarajevo lebt und die postjugoslawische Literatur wie seine Westentasche kennt, aber auch zu Übersetzern wie Mirjana und Klaus Wittmann, Alida Bremer, Will Firth, Cornelia Marks, Astrid Philippsen und vielen anderen, sind für uns äußerst wertvoll. Im unmittelbaren Austausch, bei Tee oder Wein, entstehen häufig die Ideen für Buchprojekte, wir haben da keinen Fünfjahrplan am Reißbrett, sondern diskutieren die Vorschläge, die an uns herangetragen werden. Wichtig sind auch "Leute vom Fach", zum Beispiel die polyglotte Forscherin Sabine Fahl in Berlin, die sich der von uns gern als "angewandte Literaturwissenschaft" bezeichneten Literaturvermittlung jenseits des akademischen Elfenbeinturms verschreiben. Inspirierend und als geistiger Ziehvater wirkt auch Axel Helbig von der Dresdner Literaturzeitschrift "Ostragehege", der uns gerne seine Autoren vermittelt, wenn er es schade findet, dass er in der Zeitschrift nur einen kleinen Auszug ihres Werkes bringen kann. Auf diese Weise ist unser Kontakt zu Bosko Tomasevic entstanden. Auch professionelle Literaturagenten spielen für uns eine gewisse Rolle. Im letzten Jahr haben wir zwei Bücher von bosnischen Autoren publiziert, die uns von der sympathischen Agentur "Literaturmitte" in Berlin empfohlen worden sind. Manchmal wirken aber auch die Bücher selbst wie eine Art Dominostein. Vor ein paar Jahren veröffentlichte die Hamburger Slawistin Henrike Schmidt einen Band mit verbotenen Texten einer russischen Dichterin, die im Gulag umgekommen ist. Daraufhin kam der Hamburger Slawistik-Professor Robert Hodel auf uns zu und hatte eine sehr umfangreiche serbische Anthologie im Gepäck ...

Welche Rolle spielt die Leipziger Buchmesse für diesen Austausch?
Als Treffpunkt für Autoren und Übersetzer ist die Leipziger Buchmesse sehr wichtig. Wir brauchen ja nicht eine gesonderte Halle für die Lizenzverhandlungen wie das in Frankfurt für den Einkauf vornehmlich amerikanischer Bestseller üblich ist. Wir bewegen uns hier in Leipzig in wunderbaren literarischen Räumen, wo es noch wirklich etwas zu entdecken gibt und da können wir die Verträge in der Regel mit den Beteiligten direkt vereinbaren. Da wir ein Interesse für die Literatur von den Rändern Europas haben, ist der Balkan-Schwerpunkt der Leipziger Messe für uns sehr hilfreich. Bereits 2010 haben wir das serbische Kulturministerium kontaktiert, um unsere Projekte vorzustellen und Fördermöglichkeiten zu besprechen.

Die Lyrikerin Radmila Lazić hat aus Sicht von Viktor Kalinke Potenzial zum Einschlagen.Das klingt, als ob man einen sehr langen Atem braucht ... Wie weit war bei Crnjanski oder Lazić der Weg vom serbischen Original zur deutschen Ausgabe, die nun hoffentlich vom Publikum der Buchmesse entdeckt wird?
Nun ja, wenn man deutschsprachige Autoren verlegt, hat man es in dieser Hinsicht leichter. Bevor wir ein Buch in Übersetzung herausbringen können, benötigen wir die Lizenzgenehmigung und in der Regel auch eine Übersetzerförderung oder ein Arbeitsstipendium für den Übersetzer. Im Falle von Crnjanski ist die Crnjanski-Stiftung in Belgrad die Rechteinhaberin. Seltsamerweise sind unsere Mails dort nicht eingetroffen. Wir haben dann stets an Stevan Tontic in Sarajevo geschrieben und der hat unsere Post von Sarajevo nach Belgrad weitergeleitet und dann kam sie auch an. In der umgekehrten Richtung musste auch öfter der Umweg über Sarejvo gewählt werden. Auf diese Weise ziehen sich dann Verhandlungen um Details wie Auflagenhöhe und Tantiemen schon mal ein halbes oder ganzes Jahr hin... Im Fall des Buches mit Radmila Lázic war das viel einfacher. Die Dichterin selbst verfügt über die Rechte an ihren Texten - das ist ein Unterschied zu vielen deutschen Autoren, die ihre Verlagsrechte abtreten. Bei einer Belgrad-Reise haben die Übersetzer den Vertrag mitgenommen und uns unterschrieben zurückgebracht und es war geritzt. Aufwendig ist auch die eigentliche Übersetzungs- und Lektoratsarbeit: Dazu gehören nicht nur Sprachkenntnisse. Bei "Iris Berlina" mussten auch Gegebenheiten des Berlins der 1920er-Jahre recherchiert werden. Bei Lyrik kommt es darauf an, auch in der Sprache der Übersetzung einen adäquaten poetischen Ausdruck zu finden, ein intensiver Email-Austausch zwischen Übersetzer, Autor und Lektor ist keine Seltenheit.

Wie hoch ist das finanzielle Risiko eines solchen Unternehmens, welche unterstützende Rolle spielt das Netzwerk "Traduki" dabei?
Zwei unserer aktuellen Übersetzungen aus Serbien wurden durch Traduki gefördert. Traduki ist ein Konsortium des Auswertigen Amtes, von Kulturkontakt Österreich und Pro Helvetia, dem Goethe-Institut und der S. Fischer Stiftung, das sich ursprünglich die Übersetzung deutschsprachiger Literatur in die Sprachen des Balkans zum Ziel setzte. Doch mittlerweile fährt der Zug auch in die umgekehrte Richtung. Die Förderung durch Traduki ist insofern komfortabel, da sie sowohl die Übersetzungsarbeit beinhaltet als auch die Lizenzgebühr. Das entlastet den Verlag merklich. Die Druck- und Werbungskosten bleiben. Außerdem sind wir in den Genuss einer Förderung durch die Dietze-Stiftung und des serbischen Kulturministeriums gekommen. Drei der neuen Bücher haben wir aus eigener Kraft gestemmt. Das Risiko auf dem deutschen Buchmarkt ist immens: Auf der Vertreterreise wurde uns gesagt, dass nichts von Autoren gekauft werde, deren Name auf "-ic" endet - der Markt hat da seine Beschränktheiten und Zynismen. Wir haben dennoch Hoffnung: "Iris Berlina" von Crnjanski wird zumindest in Berlin von Interesse sein, und Berlin generiert fast ein Drittel des Umsatzes. Das Buch von Radmila Lázic hat Potenzial zum Einschlagen - wir hoffen, dass es sich herumsprechen wird. Die philosophischeren Titel von Miodrag Pavlovic und Bosko Tomasevic werden hoffentlich im Windschatten ein wenig mitgenommen.

Sie haben den Leipziger Literaturverlag gegründet, um eigene Projekte zu verwirklichen: Welche Rolle spielten Ihre "Studien zu Laozi Daodejing" dabei, die inzwischen wohl eine Art Bestseller sind?
Das Daodejing beschreibt, wie es möglich ist zu gestalten, ohne die Natur der Dinge dabei zu vergewaltigen, sondern auf ihr evolutionäres Wachsen zu achten. Und so verhält es sich auch mit dem Verlag: Wir haben als eine Art Selbsthilfeprojekt begonnen, da die Situation auf dem übersättigten, von Konzernverlagen dominierten Buchmarkt für produktive Köpfe nahezu unerträglich ist. Die Zensur des Marktes ist sehr real und auch eine Bedrohung der Demokratie. Mittlerweile hat unser Verlag aber eine Dimension angenommen, die über die ursprüngliche "Edition" hinausgeht, ein allgemeines Publikum anspricht - ohne dass wir zum großen Sprung ansetzen. Vielmehr vertraue ich auf das allmähliche Wachsen. Das Daodejing wurde und wird immer wieder gelesen (und gekauft), für viele Menschen ersetzt oder ergänzt es die Bibel - ohne diesen Erfolg hätte mir vermutlich die Ausdauer gefehlt, Durststrecken durchzustehen, die sich beim Verlegen immer wieder ergeben.

Bei allen Anstrengungen legen Sie Wert darauf, dass Büchermachen und -lesen auch mit Genuss zu tun hat. Sie betreiben einen "Kultur Genuß Laden", in dem sich Verlag und Kunstgalerie sowie ein Kurt-Wolff-Depot begegnen ...
Ja, die Galerie zeigt Bildarbeiten im Original, die in den Büchern als Reproduktion enthalten sind. Es ist keine kommerzielle Galerie, sondern ein Raum für Begegnungen zwischen Text- und Bildmenschen, die sich fremder sind, als man gemeinhin vermutet. Das Kurt-Wolff-Depot - ein kleiner Raum innerhalb der Galerie - zeigt Bücher befreundeter unabhängiger Verlage, die kaum noch in den Buchhandlungen vertreten sind, bei Thalia und Hugendubel sowieso nicht. Es ist ein Akt der Solidarität und wir hoffen, dass es in anderen Städten Nachahmer findet.

Wie werden die durchaus speziellen Angebote Ihres Verlages von den Lesern angenommen?
Das Spannende am Verlegen besteht auch darin, dass man nie weiß, welches Buch wirklich das Rennen macht. Wir haben jahrelang an einer Neuausgabe des Hammurabi-Kodex gearbeitet. Zufällig war im Jahr ihres Erscheinens die große Babylon-Ausstellung im Pergamon-Museum - dort ging das Buch weg wie warme Semmeln, was wir weder erwartet noch geplant hatten ...

Ist Leipzig ein guter Ort für Ihren Verlag?
In Leipzig gibt es hervorragende Druckereien, Buchbindereien, Künstler und Illustratoren und - die Buchmesse. Das waren für uns Gründe, den Verlag hier anzusiedeln.

Was unterscheidet für Sie die Leipziger von der Frankfurter Buchmesse?
In Leipzig sind die Kontakte für uns von Bedeutung. Und die Wahrnehmung durch das lesende Publikum, der Austausch mit den Kollegen von anderen unabhängigen Verlagen. In Frankfurt haben wir die Erfahrung gesammelt, dass wir mit unserem Programm in der Masse untergehen. Nebenan stand Dieter Bohlen und die Leute rannten kreischend an uns vorbei, um ihm am Rockschoß zu fassen...


 

Zum Autor

Leseproben
aus: Gottes Fleisch, Die Kunst: den Ort
zu finden, Asche, Wie ich Amerika entdeckte

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Essay zum 1. Kapitel des Daodejing
Zur Übersetzung von ITHAKA

Interview mit POLITIKA
Interview mit SZ
Interview mit der LVZ

Vertonte Gedichte