Zurück zur Bibliographie

 


Yvette K. Centeno

aus: "erdnah"

Caminho

devagar cortei-te o pulso

percorri esse caminho
dentro das tuas veias

enquanto o sangue saía
abria portas de entrada

eu avançava ao contrário
dentro de ti me perdia

o amor não era mais nada

 

Weg

sachte schnitt ich deine Pulsader auf

durchlief diesen Weg
in deinem Innern den Venen

während das Blut rann
öffnete ich Türen und trat ein

in Gegenrichtung rückte ich vor
in dir verlor ich mich

nichts anderes war die Liebe

(aus dem Portugiesischen von Markus Sahr, © ERATA 2008)


aus: "Anfang"

Sie schloß die Augen.
– Ich kann mich so besser unterhalten, in kurzem Aufblitzen, in flashes, erinnernd.
– Schreiben ist das Schwierigste.
– Eine Seele wiedererfinden, mehrere Seelen, ein Leben, mehrere Le­ben.
– Einschläferung.
– Im Gegenteil, Reise, Wagnis.
– Traum.
– Ich, in der Küche, beim Abräumen der Reste. In der Pfanne ein Steak. Der Vater kommt herein. Auf einem Bügel trägt er drei Anzüge, die er nicht mehr braucht. Sie sind zum Verschenken.
Der Vater: der Vater ging voraus, er entledigte sich des Fleischs, und ein paar Jahre später entledigte er sich der Knochen; danach erschien er wieder; trat in die Küche, ein paar Anzüge in der Hand, drei, auf demselben Bügel; ich brauche sie nicht mehr, sagte er und gab sie der Tochter.
– Ich behalte den Vater zurück, die drei, die eins, die Anzüge zum Verschenken, es ist das Leben, das sich abgenutzt hat, das über sich hinaus ist und zu nichts mehr gut.
– Es ist kein Haus, es ist ein Meer, ein Raum, in dem die Dinge sich auflösen. Wie schwer es ist, stark zu sein, sich zu widersetzen, den Wunsch am Brennen zu halten.
– Straßenfest. Wahlkampf. 1986, Wahlen zum Präsidenten.
– Treue bei der Linken wie bei der Rechten. Und wer rettet die Republik vor so viel Treue?
– Es sind keine Worte, es ist Fliegenpapier.
– Löschpapier.
– Aufkleber...
– Fangnetze.
– Filter.
– Abflußrohre, Mülleimer. Müll, ja. Das ist es.
– Luxus. Gedankenlose Wiederholung dessen, was man liest.
– Es gibt keine Veränderung. Nur Kränkungen.
In der Hand hält sie die Schale und in der Schale einen Raum für die Kugel. Es ist ein jüdisches Ritual. Sie wird wach und hört, wie es vier Uhr schlägt. Es ist das erste Mal, daß sie sich daran erinnert, von etwas Jüdischem zu träumen. Sie ist mit anderen in einem Zimmer, nimmt an einem Spiel teil, dem Ritual. Doch die Schale und die Kugel? Ihr Gesicht im Spiegel macht Angst. Gealtert, aufgedunsen.
– Tu es ma claire lumière, ma fontaine d’eau douce.
– Rotweißes Einhorn, ich sehe es in der Ferne, wenn ich den Kopf hebe, nachdem ich krank wurde.
– Ich weiß, was es bedeutet. Begegnung mit dem Steinbock, mit dem weißen Schnee des Winters, mit der roten Nachtsonne, mit den Widersprüchen der Seele. Es ist keine Krankheit, sondern Erneuerung.
– Wie ein Tier suchte ich die Wunde, um sie zu lecken.
– Heile die Leidenschaft, verstecke sie in einem silbernen Nadelkissen, wie man früher welche hatte, fein mit Blumen verziert.
– Für mich ist der Heilige Geist eine Art schwachsinniger Taube. Sie flattert und pickt nach Krumen, doch fehlt ihr der Hauch, die schöpferische Kraft.
– Ich sehe die Kraft im Wind, im Schoß, im Wort. In einem spiralförmigen Bündel.
– Auch ich mißtraue den Vorzeichen.

Er hieß Luiseur, war Arzt und hatte den Ruf eines großen Spezialisten für Nervenkrankheiten.
– Man ergab sich dem nigredo, dem schwarzen Zeichen, dem Riß, der verwandelt.
– Trank dunklen Wein.
– Es war das Trauern der Seele. Sie durchquerte die Sechs, um zur Sieben zu gelangen.
Der Arzt schminkte sich, um sie zu empfangen. Er färbte sich das Haar etwas heller. Sorgte mit Eau de Cologne für frischen Atem. Desinfizierte die Hände.
– Gibt es eigentlich eine Ordnung in dieser Rede?
– Es ist keine Rede. Du warst unaufmerksam.
– Die Unschuld, die überraschenden Mäander.
Der Vater, dieses eine Mal noch, um damit abzuschließen: Ich brauche sie nicht mehr, sagte er, und überließ sie der Tochter; sie, die Leben spendet, nahm die Anzüge, gäbe jenen Abgrund an jemand anderen weiter.
– Destiny könnte einer der Namen sein.
Das helle Licht ließ sie erblinden. Sie begann zu stürzen, fühlte den Sturz. Während der Raum rannte (die Zeit? rannte und rannte), suchte sie nach einer Tür. Eingang, Ausgang, Eingang, Tür-Anfang zu einem anderen Leben.
Etwas hatte dort in Tavira am Ufer des Gilão begonnen.
– Ich sah das Einhorn in der Ferne, mit einer roten Brust. Sah dich, du warst tot, die Lippen versiegelt, ein grünliches Licht verströmend. Ein smaragdfarbener Körper? Engel? Stein?
– Dunkel, Offen, das ist ein guter Titel für die Gedichte auf Französisch. Du kannst es deinem Freund sagen.

(aus dem Portugiesischen von Markus Sahr, © ERATA 2006)


aus: „Im Garten der Nußbäume“

Asger war aus Cuba angekommen. Gella machte ihm einen Tee, den sie langsam tranken, während sie sich unterhielten. Er war die große Liebe ihres Lebens gewesen. Seinetwegen hatte sie ihren ersten Mann verlassen, einen friedfertigen jüdischen Architekten, ihren Freund aus der Kindheit. Mit Asger hatte sie das zweifache Abenteuer von Liebe und schöpferischer Kraft gelebt, Malerei, Bildhauerei, Musik, Poesie, was ihm gerade einfiel. Gella, als Stier, jedoch hielt der Unruhe nicht lange stand. Mit Asger war alles tosende Begeisterung gewesen, doch es war auch die Verlassenheit, die Gleichgültigkeit, die beständige Unsicherheit. Nach einer Weile hatten sie sich getrennt und waren gute Freunde geblieben. Immer, wenn sie sich trafen, war es, als ob sie ihre Jugend wiedergewänne. Die Begeisterung für das Leben, die man nur einmal besitzt, wenn man jung ist und aufs Spiel setzt. Ist der Geschmack am Risiko einmal verloren, verwelkt das Leben. Gella hatte oft aufs Spiel gesetzt. Sie sagte: Die Männer sind alle gleich, sie lassen sich einteilen in Ehemänner und in Geliebte. Je nachdem, zu welcher Kategorie sie gehören, verhalten sie sich: die Ehemänner bleiben in der Ordnung, die Liebhaber folgen der Phantasie. Die Ehemänner sind, aus einer Notwendigkeit, mäßiger, vernünftiger, die Liebhaber, gleichfalls aus einer Notwendigkeit, erfinderisch. Die Ehemänner sind verantwortlich (öde?), die Liebhaber unverantwortlich (unterhaltsam?), im Grunde braucht die Frau für ihr Gleichgewicht beide. Der Liebhaber ist ein idealer Mensch, rein erdacht, dem wir alle Gaben zugestehen, die dem Ehemann fehlen, einem normalen Menschen, ohne Geheimnis, sagte sie. Da er nicht mit uns lebt, wird der Geliebte für vollkommener erachtet. Er kennt nicht unsere Fehler, unsere kleinen täglichen Miseren, und da er sie nicht kennt, muss er sie auch nicht ertragen. Wenn das normale Zusammenleben den Ehemann kleiner macht, so lässt das Fehlen des Zusammenlebens den Geliebten größer werden, deshalb sage ich, dass der Geliebte rein erdacht ist. Wir verlieben uns nicht in den Menschen, sondern in die Idee von ihm. Wenn der Geliebte den täglichen Prüfungen eines Ehemanns unterworfen wäre, hielte er gleichfalls nicht stand. Und vielleicht fiele er noch schneller, da von weit höher. Welcher Geliebte erträgt den Mundgeruch, das wirre Haar am Morgen, die verwischte Schminke? Welcher Geliebte erträgt das Fehlen der Begeisterung, das jede Geste vermittelt, wenn die Frau auf dem Bett sitzt, sich ganz langsam auszieht und versucht, unbemerkt zu bleiben, um nicht die Begierde zu erwecken, denn sie hat keine Lust, sie ist müde, das Geschlecht sagt ihr nichts? Daher sage ich, dass der Geliebte rein erdacht ist, er darf nicht aufhören, es zu sein. Er ist nur die Projektion dessen, was wir begehren, und es gibt ihn nicht, außer als reinen Gedanken, reines Bild der Leidenschaft, die sich verausgabt und nichts weiter verlangt. Beziehungen, die sich hinschleppen, sind schlimmer als das Gefängnis des Ehemanns, wenn der Ehemann das Gefängnis ist. Diese Philosophie Gellas erregte großen Anstoß bei der Tochter. Geneviève war mit ihrem ersten Mann nicht glücklich gewesen, sie war nicht glücklich mit den Liebhabern, die in immer kürzerem Abstand aufeinander folgten und sie verließen, ohne dass sie es noch war, die das Spiel bestimmte. Alles, wonach sie verlangte, war ein zweiter Ehemann, irgendeiner, vorausgesetzt, dass er reich war. Sie sah ihren Slip an, unentschieden, ob sie ihn waschen oder noch einmal anziehen sollte. Er war nicht schmutzig, da war nur jener mehlige, weiße Fleck. Ihre Mutter war derart sonderbar mit der Reinlichkeit. Von klein auf hatte sie sie erzogen, sich morgens und abends sorgfältig zu waschen. Sie sagte: Denk an den Mann, den du an deiner Seite haben wirst. Der Körper muss immer rein sein, immer bereit für ihn. Wasch deine Wäsche jeden Tag, gib, was intim ist, an niemanden weg. Flecke, Gerüche, diese Dinge unserer Intimität gehen niemanden etwas an. Mit den geschnittenen Nägeln und dem Haar war es das Gleiche. Alles, was uns gehört, sammelt man auf, sagte Gella, und man verwahrt es entweder oder wirft es sorgfältig weg. Als ob aus den Spuren des Körpers dem Körper irgendeine Gefahr erstehen könnte. Sie roch an dem Slip. Es ist weiß, ist eine Säure, man riecht nichts, dachte Geneviève. Sie entschied sich, den Slip noch einmal anzuziehen. Reinlichkeit. Die Männer bemerken es nicht. Schnell oder langsam suchen sie starke Gefühle, die Feinheit einer sorgfältig gewaschenen Haut nehmen sie nicht wahr.

(aus dem Portugiesischen von Markus Sahr, © ERATA 2004)

 

 


Ihre Meinung zu den Texten per eMail.

Zum Autor

Zum Übersetzer

Zu den Büchern !